Wie die Psyche die Darmgesundheit beeinflusst
Forschungsbericht (importiert) 2024 - Cyberneum
Einleitung
Darm und Gehirn stehen im ständigen Austausch. Diese Kommunikation funktioniert in beide Richtungen: Der Darm sagt dem Gehirn beispielsweise, was wir essen sollen – ohne unser Wissen. Umgekehrt sendet auch das Gehirn Signale an den Darm. Das kann weitreichende Auswirkungen haben, denn der Darm ist weit mehr als ein bloßes Verdauungsorgan; er ist ein komplexes System, in dem über Gesundheit oder Krankheit mitentschieden wird. Wenn der Darm aus dem Takt gerät, werden entzündliche Prozesse im ganzen Körper begünstigt und wir sind anfälliger für Infektionen.

Das Darmmikrobiom, also die Gesamtheit der Bakterien, Pilze und anderen Mikroorganismen in unserem Darm, spielt dabei eine wichtige Rolle. Oft spricht man daher sogar von der Gehirn-Darm-Mikrobiom-Achse, um die komplizierte Beziehung zwischen diesen drei Komponenten zu beschreiben. Das Darmmikrobiom hat sich evolutionär gemeinsam mit uns Menschen entwickelt und ist an der Nährstoffverdauung und dem Schutz vor Krankheitserregern in der Nahrung beteiligt. In der Forschung mehren sich die Hinweise darauf, dass mentale Zustände das bakterielle Darmmikrobiom verändern und so die Immunabwehr beeinflussen; zahlreiche Studien an Menschen konnten bereits einen Zusammenhang zwischen psychischem Stress und einem Ungleichgewicht der Darmflora feststellen.
Stress macht krank – aber wieso eigentlich?
Allerdings: Die genauen Mechanismen, mit denen das Gehirn das Mikrobiom beeinflusst, waren bislang nicht bekannt. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York hat unser Forschungsteam nun einen wichtigen Kommunikationsweg zwischen Gehirn und Darmmikrobiom identifiziert. Eine Schlüsselrolle dabei spielen die sogenannten Brunner-Drüsen im oberen Abschnitt des Dünndarms. Diese sondern einen bestimmten Schleim ab, der die Darmwand auskleidet und als Substrat für das Wachstum nützlicher Darmbakterien dient.
Überraschend für unser Team: Mäuse, denen die Brunner-Drüsen entfernt werden, weisen eine geringere Anzahl von Laktobazillen im Darm auf. Diese nützliche Bakteriengattung kommt im Dünndarm vieler Tiere, einschließlich des Menschen, normalerweise reichlich vor; Verbrauchern ist sie aus probiotischen Lebensmitteln wie Joghurt und Sauerkraut bekannt. Die Auswirkungen der reduzierten Bakterienzahl sind weitreichend: Die Darmbarriere – ein Mechanismus, der verhindert, dass Darminhalte wie entzündungsfördernde Moleküle oder Mikroorganismen unkontrolliert in den Blutkreislauf gelangen – wird durchlässiger. Außerdem erscheint die Milz, ein wichtiger Teil des Immunsystems, krankhaft verändert. In der Folge zeigen die Mäuse verschiedene Anzeichen systemischer Entzündung und sterben häufiger an Darminfektionen.
Eine direkte Verbindung von der Amygdala zum Darm
Die Brunner-Drüsen sind somit wichtiger als bislang angenommen. Doch wie erhalten sie Informationen über die mentalen Zustände? Im Mausmodell konnten wir nachweisen, dass ihre Aktivität über den Vagusnerv reguliert wird. Dieser Nerv, ein wichtiger Teil des parasympathischen Nervensystems, steuert viele Organsysteme im gesamten Körper und spielt eine Schlüsselrolle bei Ruhe und Entspannung. Er verbindet die Brunner-Drüsen mit der Amygdala, einem Gehirnareal, das für emotionale Reaktionen zuständig ist. Bei Furcht oder Ängstlichkeit reduziert die Amygdala ihre Aktivität und sendet weniger Signale an den Vagusnerv. Infolgedessen sondern die Brunner-Drüsen weniger Schleim ab, was wiederum die Anzahl der Laktobazillen reduziert und die Immunität beeinträchtigt. Beeindruckend ist: Mäuse, die unter chronischem Stress stehen, zeigen die gleichen negativen Veränderungen im Mikrobiom wie ihre Artgenossen, denen die Drüsen chirurgisch entfernt wurden. Auch ihr allgemeiner Gesundheitszustand ist gleichermaßen beeinträchtigt.
Mögliche Therapien für entzündliche Darmerkrankungen
Die Erkenntnisse unseres Teams bieten ein Erklärungsmodell dafür, wieso psychosozialer Stress die Wahrscheinlichkeit einer Infektionserkrankung erhöht und ergänzen so unser noch fragmentarisches Verständnis der Beziehungen zwischen mentaler Verfassung, Darmgesundheit und Immunität. Der neuronale Schaltkreis zwischen Amygdala, Vagusnerv und Brunner-Drüsen liefert eine Erklärung für den bereits gut belegten Zusammenhang von psychischen Störungen wie Angst und Depression einerseits und Immun- und Magen-Darm-Erkrankungen andererseits.
Gleichzeitig zeigen unsere Ergebnisse neue therapeutische Möglichkeiten auf: Stimuliert man die Amygdala oder alternativ den Vagusnerv der gestressten Mäuse, so normalisiert sich die Schleimsekretion, und die Wirkung des Stresses auf Darmmikrobiom und Immunität wird kompensiert. Beim Menschen wird die Vagusnervstimulation bereits zur Behandlung anderer Krankheitsbilder wie zum Beispiel Depressionen eingesetzt und ist inzwischen auch ohne chirurgische Eingriffe möglich. Noch einfacher könnte es mit Probiotika gehen, die im Mausorganismus bereits ausreichen, um die negativen Folgen der psychischen Belastung wettzumachen.
Noch fehlt der nächste Schritt: eine Untersuchung, in welchem Rahmen unsere Erkenntnisse klinisch anwendbar sind. Wir gehen davon aus, dass die Brunner-Drüsen wichtige Mediatoren Vermittler bei entzündlichen Darmerkrankungen wie etwa Morbus Crohn und Colitis ulcerosa sein könnten, von denen in Deutschland aktuell etwa 300 000 Menschen betroffen sind. Interessanterweise gehen Schüben von entzündlichen Darmerkrankungen oft Stresssituationen voraus. Eine weitere Erforschung dieser einzigartigen Organe könnte neue Erkenntnisse über Mechanismen und mögliche Therapien liefern.