Bewegungswahrnehmung & Simulation

Bewegungswahrnehmung & Simulation

Bewegungswahrnehmung ist grundlegend für das menschliche Verhalten. Sie erlaubt es sich in der Natur zu orientieren und mit der Welt zu interagieren. Das Ziel unserer Forschung war es, ein besseres Verständnis  über die Wahrnehmungs- und Kognitionsprozesse beim Laufen, Fahren oder Fliegen zu erzielen.

Dazu verfolgten wir einen integrativen Ansatz: Wir betrieben Grundlagenforschung, die beschreiben sollte, wie das Gehirn multisensorische Reize verarbeitet, um zu einheitlichen bewussten Erfahrungen zu gelangen. Zudem machten wir angewandte Forschung zur Entwicklung modernster Simulationstechnologien. Diese beiden Ansätze bauten aufeinander auf: Je detaillierter unser Wissen über die Mechanismen der Wahrnehmung, desto besser wussten wir, wie man realitätsnahe Simulationen generiert. Je realistischer widerum unsere Simulationen waren, desto fortschrittlicher konnte die Forschung zur Bewegungswahrnehmung sein.

In unseren Experimenten entwickelten und verwendenten wir Geräte, die uns ein Höchstmaß an Kontrolle über die Reize gaben, die die Teilnehmer erlebten. In mehr als 25 Jahren Forschung an unserem Institut hat dies zu einzigartigen Bewegungssimulatoren geführt: dem CyberMotion-Simulator (CMS) und dem CableRobot-Simulator (CRS). Simulatoren, die es uns ermöglichten, Beschleunigungsreize, visueller, auditiver und taktiler Art unabhängig voneinander zu manipulieren. Diese Simulatoren waren dynamische Bewegungsplattformen mit Kabinen, die physisch bewegt werden konnten. Sie verfügten über einen großen Bewegungsspielraum und ermöglichten uns, unterschiedlichste Bewegungsprofile nachzubilden – von einfachen Linear- oder Drehbewegungen bis hin zu Formel-1-Rennwagenfahrten oder Hubschrauberflügen. Wir nutzten die Bewegungsplattformen in Verbindung mit Visualisierungstools wie Großbildstereoprojektoren oder Head-Mounted-Displays mit Bewegungskompensation, um synchron zur Bewegung eine hochrealistische visuelle Stimulation auf diesen Bewegungsplattformen zu erreichen.

Von der Grundlagenforschung zur angewandten Forschung

Unsere Grundlagenforschung untersuchte sowohl die Low-Level-Prozesse der ein- und multisensorischen visuellen/inertialen Bewegungswahrnehmung als auch die abstrakten Darstellungen von Selbstbewegung, einschließlich der bewussten Erfahrung und der darauffolgenden kognitiven Reaktion. Diese grundlegende Forschung ermöglichte es uns, den Zusammenhang zwischen tatsächlicher und wahrgenommener Bewegung zu beschreiben, während wir durch einen anderen Forschungsansatz beispielsweise die Ursachen der Reisekrankheit (Motion Sickness) besser verstehen konnten.

In unserer Grundlagenforschung zur Bewegungswahrnehmung bestimmten wir, wie unser Gehirn Bewegungsreize verarbeitet. Wir maßen die Wahrnehmung als Reaktion auf Reize, wir formulierten Algorithmen zur Beschreibung der Daten und wir bestimmten, wie und wo diese Algorithmen im Gehirn implementiert werden konnten. Um die Wahrnehmung zu quantifizieren, kombinierten wir Methoden, die spezifische Informationen lieferten. Direkte, aber subjektive Wahrnehmungsmessungen konnten mit sogenannten psychophysischen Methoden gewonnen werden bei denen die Teilnehmer über (relative) Eigenschaften von Reizen urteilten. Beispiele dafür sind:

  • Forced-Choice-Aufgaben: Hier bestimmten wir, wie gut Testpersonen zwischen Reizen unterscheiden können.
  • Magnitude-Estimation-Aufgaben:  Hier lieferten Testpersonen subjektive Schätzungen eines Reizattributs.
  • Methode der Anpassung: Hier reproduzierten die Testpersonen Reize .

Indirekte, aber objektive Wahrnehmungsmessungen können aus physiologischen Messungen gewonnen werden (beispielsweise per Eye-Tracker). Um festzustellen, wo im Gehirn bestimmte Prozesse ablaufen, konnten wir die elektrische Aktivität in der Hirnrinde messen, Neuroimaging mit Elektroenzephalographie (EEG) durchführen oder hämodynamische Aktivität (d.h. Blutfluss) mit funktioneller Nah-Infrarot-Spektroskopie bestimmen.

In unserer High-Level-Forschung versuchten wir, Konsequenzen unserer Wahrnehmung für komplexe Szenarien mit Bezug zum Alltag (ökologischer Validität) zu ermitteln. Dazu gehörten beispielsweise Gleichgewichtsstörungen und Reisekrankheit (motion sickness). Als Reize benutzten wir virtuelle Fahr- und Flugszenarien. Zudem konnten wir Aufzeichnungen von tatsächlichen Autofahrten und Hubschrauberflügen auf den Bewegungsplattformen abspielen. Für die Datenerhebung in diesen Experimenten wurden Fragebögen durch Magnitude-Estimation-Methoden ergänzt und auch neue  Methoden entwickelt (z. B. "Continuous Rating").

Unsere angewandte Forschung an Simulationstechnologien zielte darauf ab, möglichst realitätsnahe Simulationen zu entwickeln. Besser gesagt, strebten wir hochpräzise und ökologisch valide Simulationen an. Zu diesem Zweck arbeiteten wir an der Schaffung fotorealistischer, visueller Umgebungen, die wir in unseren Experimenten nutzen konnten. Wir erforschten Möglichkeiten, die Fähigkeiten eines Bewegungssimulators optimal zu nutzen. Zudem untersuchten wir, wie neue Technologien genutzt werden können, um die Darstellung der Simulation weiter zu verbessern, beispielsweise durch aktive Simulatorsitze (VI-grade GmbH).

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