Was bedeutet eigentlich "Kybernetik"?

Diese Frage folgt oft, wenn die Rede vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik oder vom Cyberneum ist. Dieser Artikel soll einen Eindruck vermitteln, was sich hinter dem Begriff Kybernetik verbirgt.

Nach ihrem Begründer Norbert Wiener ist Kybernetik die Wissenschaft der Steuerung, Regelung und Informationsverarbeitung von Maschinen und lebenden Organismen. Abgeleitet aus den griechischen Wörtern für Steuermann und Leitung/Herrschaft fand der Begriff Mitte des 20. Jahrhunderts in seiner heutigen Bedeutung Einzug in die deutsche Sprache. Um den Aspekt der Steuerung und Regelung besser zu veranschaulichen, kann das klassische Beispiel eines kybernetischen Systems, der Thermostat, herangezogen werden. Das Prinzip des Thermostats basiert darauf, dass ein gewünschter Temperaturwert eingegeben wird und dieser Sollwert mit der aktuellen Temperatur, dem Istwert, verglichen wird. Dabei wird ständig überprüft, ob der Sollwert mittlerweile erreicht ist. Falls ja, wird die Leistung der Heizung minimiert, falls nicht, läuft sie weiter. Dem Regler im Thermostat kommt damit also die Aufgabe zu, die Heizung so zu regulieren, dass sich der Istwert dem Sollwert angleicht. Ganz anschaulich heißt das: Ist es im Raum zu kalt, arbeitet die Heizung. Ist die gewünschte Temperatur erreicht, wird nicht mehr geheizt. Ähnlich dem Thermostat in der Wohnung besitzt unser Körper ebenfalls ein kybernetisches System, das unsere Körpertemperatur permanent auf ca. 37 Grad Celsius einpendelt – und das unabhängig von der Umgebungstemperatur. Keine leichte Aufgabe, betrachtet man nur einmal die Temperaturschwankungen zwischen drinnen und draußen und über das Jahr hinweg.

Regelkreise gibt es beim Menschen aber nicht nur in Bezug auf die Körpertemperatur, sondern auch bei jeder Art von Sinnesverarbeitung. Ob wir stehen, gehen, reden oder hören – immer gilt es, eingehende Signale und daraus resultierende Handlungen zu regulieren. Und damit knüpfen wir auch schon an die Forschungsschwerpunkte des Instituts an: Wahrnehmung und Handlung beeinflussen sich permanent und genau diese Abhängigkeit ist es, die unter anderem hier am Institut anhand eines kybernetischen Regelkreises untersucht wird. Dabei interessieren zum einen die Fragen, wie es dem Menschen gelingt, sensorische Informationen aufzunehmen, zu verarbeiten und zu speichern; zum anderen, welches Verhalten daraus resultiert und welche neuen sensorischen Informationen sich wiederum daraus ergeben.

Ein weiteres klassisches Beispiel für kybernetische Systeme sind die Braitenberg-Vehikel, benannt nach einem unserer ehemaligen Direktoren, Valentino Braitenberg. Er entwarf einfache künstliche Intelligenzen (die „Vehikel“), die aus Sensoren und Motoren sowie einfachen Regelkreisen zur Kopplung von Sensor (Wahrnehmung) und Motor (Handlung) bestehen. Das einfachste Modell eines solchen Vehikels besitzt einen Lichtsensor und einen Motor. Der Regelkreis besagt, dass sich das Vehikel umso schneller bewegt, je mehr Licht auf seine Sensoren fällt. Weniger Licht führt folglich zu einer Verlangsamung und Dunkelheit sogar zu Stillstand des Vehikels. Komplexere Modelle besitzen beispielsweise auf der linken und rechten Seite zwei unabhängige Lichtdetektoren, die jeweils mit einem Rad der jeweiligen Seite verbunden sind. Mehr Licht auf der rechten Seite hat somit zur Folge, dass das rechte Rad sich schneller bewegt, das Gefährt sich also nach links und damit weg von der Lichtquelle bewegt (es „flüchtet“). Wenn die Verschaltung so geändert wird, dass sich das entgegengesetzte Rad schneller dreht, dann wendet sich das Vehikel der Lichtquelle zu (es „mag Licht“). Mit Hilfe einiger weniger Module entwarf Braitenberg vieler solcher Vehikel, die zielgerichtetes, anpassungsfähiges und komplexes Verhalten aufwiesen, also auf ihre Weise als intelligente Organismen betrachtet werden können. Tatsächlich ist jedoch ihr komplexes Verhalten durch sehr einfache (kybernetische) Regelmechanismen erklärbar. Nach ihrer Veröffentlichung in den achtziger Jahren boten die Braitenberg-Vehikel

Inspiration für Generationen von Robotikund Hirnforschern. Ähnlich wie bei den Braitenberg- Vehikeln laufen auch komplexe Regelkreisläufe im menschlichen Gehirn ab. Die systematische Erforschung des sich gegenseitig bedingenden Wahrnehmungs- und Handlungskreislaufs mit Hilfe von kybernetischen Methoden erlaubt es uns, Rückschlüsse zu ziehen, wie die Außenwelt im Gehirn repräsentiert und wie komplexes Verhalten ermöglicht wird. Bei Maschinen helfen solche kybernetischen Modelle beispielsweise dabei, automatisiertes Fahren zu ermöglichen. Kybernetik klingt in der Tat kompliziert, beschreibt jedoch schlicht einen zu regelnden Kreislauf – in unserem Falle die Erforschung und Modellierung von Wahrnehmungs- und Handlungsprozessen beim Menschen. Mit den gewonnenen Kenntnissen können neue benutzerfreundliche Mensch- Maschine-Schnittstellen entwickelt werden, die uns das Leben im Alltag einer immer weiter technisierten Welt erleichtern.

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